Interview mit Dr. Robert Kerschbaumer
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Im April 2024 entschied der Oberste Gerichtshof gegen einen Teilnehmer an einem Shitstorm. Dies war das erste in dieser Form gefällte Urteil. Rechtsanwalt Dr. Robert Kerschbaumer, der den Kläger vertreten und sich mit seiner Kanzlei auf den Bereich der Shitstorm-Opfer spezialisiert hat, erklärt, warum es sich um wegweisendes Urteil in der österreichischen Rechtsprechung handelt und mit welchen Konsequenzen Personen, die sich an einem Shitstorm beteiligen, in Zukunft rechnen müssen.
Tatbestand
„Der Kläger ist Polizist. Er wurde anlässlich eines Einsatzes gefilmt. Ein Dritter veröffentlichte das Video in einem sozialen Medium (Facebook) mit folgendem – einen Aufruf zur Beteiligung an einem Shitstorm enthaltenden – Begleittext: ‚Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in Innsbruck. Ein 82-jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet, und Stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig‘. Tatsächlich war der Kläger damals (nur) Glied einer polizeilichen Absperrkette gewesen und hatte nicht an der Amtshandlung gegenüber dem 82-jährigen Mann teilgenommen.
Der Beklagte teilte das Posting auf seinem Facebook-Profil aus ‚Unmut‘ und nahm dabei in Kauf, ein Bild des Klägers samt dem herabsetzenden Text ohne Prüfung auf den Wahrheitsgehalt in Umlauf zu bringen.“ Der Kläger begehrte daraufhin Ersatz für den immateriellen Schaden, den er aufgrund des über ihn hereingebrochenen Shitstorm erlitten hat. (OGH Urteil, abgerufen am 3.9.2024).
Urteil
Der OGH führt in seiner Entscheidung detailliert aus, was unter einem Shitstorm zu verstehen ist. Zum anderen verweist er darauf, dass es nicht Aufgabe des Opfers eines Shitstorms sein kann, möglichst viele der daran Beteiligten auszuforschen und von den Einzelnen Schadenersatz einzufordern. Gemäß des Entscheids des OGH kommt im Fall eines Shitstorms die Solidarhaftung zur Anwendung. Demnach sei es ausreichend, eine der daran beteiligten Personen auszuforschen, die dann auf Schadenersatz verklagt werden kann. Das bedeutet, dass jeder, der sich an einem Shitstorm beteiligt, für den Gesamtschaden des Opfers haftbar gemacht werden kann.
Interview
Riki Daurer: Wie sind Sie zu diesem Shitstorm-Fall gekommen, bei dem dann schließlich dieses OGH-Urteil gefällt wurde? War das der erste Fall in dem Bereich für Sie?
Dr. Kerschbaumer: Für mich war es der erste Fall in dem Bereich Shitstorm. Ich habe nicht gewusst, was da auf mich zukommt, und das Ganze total unterschätzt. 2021, als der Fall losgegangen ist, war das „Hass im Netz“-Gesetz, durch das zahlreiche Neuigkeiten im Medienrecht und andere Rechtsbereiche eingeführt worden sind, erst sechs Wochen in Kraft. Man wusste damals noch nicht, welche Konsequenzen dieses Gesetz hat, wie es funktioniert. Das war rechtlich kompliziert, sodass ich mehr nach Bauchgefühl, nach juristischem Hausverstand agieren musste. Und die Anwendung des Gesetzes bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalten im Internet ist ganz allgemein sehr schwierig, weil man sich nicht in einem einheitlichen Rechtsgebiet bewegt, sondern es ist eine quer über alle Rechtsgebiete verstreute Materie. Man spricht von einer sogenannten Querschnittsmaterie. Das ist durch verschiedene Verfahrensordnungen und Strafprozessordnung abgedeckt, die man sich zusammensuchen und aufpassen muss, dass man ja keinen Fehler macht. Und das zweite Problem ist, dass die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) 2018 in Kraft getreten ist. 2021 waren beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) zahlreiche Verfahren anhängig, wie Schadenersatz in solchen Fällen überhaupt zu bemessen ist, da es noch keine Entscheidung beim Obersten Gerichtshof (OGH) in Österreich gegeben hat.
Juristisch also ein absoluter Sprung ins kalte Wasser. Zum damaligen Zeitpunkt gab es noch keine Judikatur zum Thema Üble Nachrede durch bloße Teilung eines Inhaltes in Social Media. Das war ein Theater, bis es sich in der Justiz einigermaßen etabliert hat, dass man dadurch gleichermaßen haftbar ist wie bei einer originären Tat.
Auch die Sicherung von Beweisen, also das Anfertigen von Screenshots, von Profilen, die das geteilt haben, ist eine Herausforderung, vor allem, wenn man noch zusätzlich identifizierenden Angaben sichern muss. Da braucht man Zeit, das ist sehr aufwendig. Im Prinzip ist hier eigentlich das Opfer gezwungen, sich Hilfspersonen zu suchen, wenn es dem entgegentreten will, sonst schafft man das allein in Bezug auf die Beweissicherung nicht. Und da reden wir noch gar nicht von der rechtlichen Komplexität, was das nächste Thema ist.
Es gibt ja in diesem Zusammenhang keine spezielle gesetzliche Regelung, denn der Shitstorm an sich wurde als solcher auch im Hass-im-Netz-Bekämpfungsgesetz nicht erfasst. Das hat der Gesetzgeber übersehen, dieses Phänomen.
Ganz allgemein steht aber fest: Jeder, der sich öffentlich auf verletzende Weise äußert, begeht damit eine strafbare Handlung. Auch welche Konsequenzen das Teilen eines Beitrags hat, ist in der Zwischenzeit geklärt. Das heißt, es macht rechtlich keinen Unterschied, ob ich selber schreibe: „Frau Monika Mustermann hat die Bank überfallen“, oder ob ich den Beitrag, in dem diese Behauptung aufgestellt wird, teile oder kommentiere: Ich hafte in beiden Fällen. Was die rechtliche Durchsetzbarkeit betrifft, solche Aussagen zu ahnden, ist es kompliziert. Denn wenn der persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalt öffentlich im Netz zu finden ist, ist das Mediengesetz anzuwenden. Das Mediengesetz hat der Gesetzgeber allerdings ins Strafrecht hineinverfrachtet, dadurch wird es nochmals kompliziert. Verfahrensrechtlich ist die Strafprozessordnung anzuwenden, auch wenn dabei mit dem medienrechtlichen Entschädigungsanspruch der Sache nach ein zivilrechtlicher Schadenersatzanspruch geltend gemacht wird.
Das zweite betrifft Fotos bei so einem Beitrag: Wenn ein Bild von der betroffenen Person, vom Opfer, ebenfalls gepostet wird, kommen zusätzlich das Urheberrechtsgesetz und das Datenschutzrecht zur Anwendung. Das sind zivilrechtliche Tatbestände, für die ein eigenes Zivilverfahren eröffnet werden muss, das mit dem Strafverfahren nichts zu tun hat. Denn im Medienverfahren nach der Strafprozessordnung kann und muss nur der medienrechtliche Entschädigungsanspruch geltend gemacht werden. Und dann habe ich als Opfer natürlich Anspruch darauf, dass derjenige, der eine unwahre, rufschädigende Tatsachenbehauptung verbreitet hat, seine Behauptung auch widerruft. Das betrifft dann ein Fachgebiet im Zivilrecht, das auch nicht ganz einfach ist. Das, was ich alles machen kann als Person, ist quer verstreut durch alle Rechte, das sind Spezialbestimmungen, die man im juristischen Alltag nicht täglich braucht, die auch nicht jedem liegen und die auch sehr viele Juristen nicht mögen. Man muss sich ziemlich hineingraben, um das friktionsfrei abzuklären.
Das Teilen ist also geregelt, natürlich neben dem Posten von verletzenden Inhalten. Wie schaut es mit dem Kommentieren aus?
Wie bereits erwähnt: Das bloße Veröffentlichen eines ehrenbeleidigenden Inhalts, egal ob „nur“ ein entsprechender Beitrag geteilt wurde oder ob eine solche Äußerung originär erstellt wurde, ist eine Straftatbestand. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung, mittels derer ich jemanden etwas bezichtige – in dem Fall eine elektronische Meinungsäußerung –, und es macht keinen Unterschied, ob ich diese laut in die Gegend rufe, ob ich sie auf einem Plakat herumtrage oder ob ich sie im Wirtshaus herumschreie, das ist völlig egal. Dadurch, dass ich sie im Internet publiziert habe, bin ich im Mediengesetz drinnen. In dem konkreten Fall, der jetzt zu dem OGH-Urteil geführt hat, hat mein Mandat das “Glück” gehabt, dass er Polizist war und im Zuge seiner Berufsausübung in der Ehre geschädigt worden ist. Dadurch ist hier der Staatsanwalt eingeschritten. Man spricht von einer sogenannten Beamtenbeleidigung. Bei beleidigten Beamten, nicht nur bei Polizisten, ist der Staatsanwaltschaft für die Verfolgung des Täters zuständig. Also egal ob Polizist oder Lehrer. Das Beispiel mit Frau Monika Mustermann dagegen, der ein Banküberfall angedichtet worden ist oder eine Beleidigung – beispielsweise dass sie eine hässliche Hexe ist –, das ist zwar auch ehrenbeleidigend, aber das ist dann ein Privatanklagedelikt. Da ist dann nicht die Staatsanwaltschaft zur Verfolgung zuständig, sondern die beleidigte Monika Mustermann selber. Die kann das nicht bei der Staatsanwaltschaft anzeigen, sondern muss sich selber darum kümmern und trägt damit das ganze Prozesskostenrisiko. Wenn man bei einer Beleidigung eine Privatanklage einbringt, eine medienrechtliche, dann kostet das 287 Euro. Bei 1000 Shitstorm-Teilnehmern wären das also knapp 300.000 Euro. Das ist das massive Problem rechtlich, weshalb, ähnlich wie beim Verhetzungsparagraph 283 StGB, der Gesetzgeber eigentlich so ein shitstormartiges Ereignis in den Katalog der Offizialdelikte hineinnehmen müsste. Offizialdelikte heißen die Delikte, die vom Staatsanwaltschaft verfolgt werden müssen, also zum Beispiel die Beamtenbeleidigung. Das hätte zur Folge, dass damit der Betroffene nicht gezwungen ist, selber ein Prozessrisiko einzugehen, sondern das einfach anzeigen kann. Das ist derzeit aber nicht der Fall. Also jemand, der nicht Beamter ist und der beleidigt oder angegriffen wird im Internet, hat dann das Problem, dass er sich wirklich sehr genau überlegen muss, gegen wen er vorgeht. Darum ist die Shitstorm-Entscheidung eine erhebliche Erleichterung, die sagt, ich kann von jedem den gesamten Schaden, der mir erwachsen ist, fordern. Das heißt, wenn ich dadurch den Job verliere oder gesundheitliche Folgeschäden auftreten, egal ob das 1000 oder 100.000 Euro sind, kann ich mir das im Zuge eines Prozesses von jedem Shitstorm-Teilnehmer holen.
Aber die Menschen sind sich gar nicht darüber bewusst, dass sie juristisch als Einzelperson dastehen und verstecken sich einfach hinter der Masse.
Strafrechtlich stehen sie aber als Einzelperson da. Sie werden ja einzeln bestraft und müssen den medienrechtlichen Entschädigungsbetrag zahlen und eine zivilrechtliche Entschädigung, das kann bis zu 100.000 Euro ausmachen.
Es kann also jeder einzelne Teilnehmer eines Shitstorms haftbar gemacht werden?
Ja, das nennt man Solidarschuld. Das ist so, wie wenn mehrere Leute für einen Kredit bei einer Bank unterschreiben, dann haften ja alle für den Kredit bei der Bank, wenn diese klagt. Eine Solidarschuld ist im rechtlichen Bereich sehr häufig und kommt zum Beispiel auch im Fall einer Schlägerei zur Anwendung, wenn man nicht zuordnen kann, wer welchen Schaden angerichtet hat. Jeder, der sich an der Schlägerei beteiligt hat, egal ob das zehn oder fünf Personen sind, haftet für den Gesamtschaden. Das ist also juristisch nichts Ungewöhnliches. Jeder, der irgendwie zum Schaden beigetragen hat, ist bei einer Gesamtschuld verpflichtet, alles zu zahlen.
Neu durch die OGH-Entscheidung ist, dass diese Solidarschuld nun auch bei einem Shitstorm anzuwenden ist. Jeder, auch wenn er noch so einen kleinen Teil dazu beigetragen hat, hat den Shitstorm weiter befeuert und haftet für den Gesamtschaden. Jeder, der auch nur minimal beitragt, kann haftbar gemacht werden.
Ist so ein minimaler Beitrag zum Beispiel auch, wenn man einen rufschädigenden Beitrag mit einem „Like“ versieht?
Ich bearbeite gerade einen anderen Shitstorm-Fall, bei dem es genau um diese Frage geht. Bei diesen Likern, die ich in diesem Zusammenhang angezeigt habe, leitet die Staatsanwaltschaft auf jeden Fall ein Ermittlungsverfahren ein und gibt damit zu erkennen, dass der Verdacht einer strafbaren Handlungsform besteht. Durch das Liken bringe ich zum Ausdruck, dass ich mich in gewisser Weise mit der Handlung identifiziere und glaube, dass, das, was in dem Beitrag behauptet wird, stimmt. Liken leistet einen psychischen Tatbeitrag zum Täter, der den Angriff verübt hat. Das Liken im digitalen Raum entspricht Applaus im richtigen Leben. Stellen wir uns vor, es wird jemand zusammengeschlagen, und ich bleibe stehen und schreie: „Jawohl, eini, gibs ihm!“ Dann bin ich hier Beitragstäter, weil ich den Täter psychisch bestärke. Das ist im Strafrecht und auch im Zivilrecht klar geregelt. Im digitalen Raum – und das ist auch noch nicht in den Köpfen drinnen –, entspricht das Liken dem Applaus im richtigen Leben.
Anders als bei einer Schlägerei ist allerdings der Tatbestand der üblen Nachrede oder der Beleidigung ein Dauerdelikt. Das wird mit der Veröffentlichung verwirklicht und dauert so lange fort, bis der entsprechende Beitrag gelöscht wird. Durch jedes Like, durch jeden Applaus wird der unmittelbare Täter bestärkt, das online zu halten oder das weiter online zu stellen. Er bekommt das Feedback, dass es in Ordnung ist, was er da geschrieben hat. Der Status als Beitragstäter ist also ein weiterer Aspekt, der den Liker haftbar macht.
Zum Dritten: Durch das Liken wird die Behauptung weiterverteilt. Indem ich ihn like, bringe ich den ursprünglichen Beitrag in das Newsfeed aller meiner Freunde. Durch die Algorithmen der sozialen Medien wird die Gesamtreichweite auch noch erhöht. Und die Freunde sehen es unmittelbar. Das Liken ist wie das Betätigen einer digitalen Dreckschleuder und unter diesem Aspekt ist ein Haftbarmachen der Liker absolut zu befürworten. Bei einem an sich beleidigenden Beitrag ist es völlig klar, dass auch der Liker haftet.
Wenn in einer Gruppe eine konzertierte Aktion mit Beleidigungen gegen eine bestimmte Person losgetreten wird: Ist der Gruppenbetreiber dafür verantwortlich, diese Gruppe und solche Posts zu moderieren? Wie schaut es da juristisch aus? Wie ist das geregelt?
Das ist recht klar geregelt. Der Betreiber solcher Gruppen wird im Mediengesetz als Medieninhaber bezeichnet. Also die Person, die das Profil verwaltet und Gestaltungsmacht hat, die Beiträge löschen und veröffentlichen kann, das ist der Medieninhaber. Die Haftung des Medieninhabers für Diskussionen auf der von ihm betriebenen Website ist im Digital Services Act, kurz: DSA (vorher im ECG), klar geregelt. Wenn er oder ein anderes Gruppenmitglied beispielsweise reinschreibt: „Heute Alpinbergung am Hafelekar, Lawinenopfer geborgen“, dann haftet der Betreiber auch nicht für das, was im Kommentarfeld steht.
Denn in diesem Fall wird er vom Gesetz als sogenannter Host Provider behandelt, der als reiner Anbieter seiner Website in Erscheinung tritt und daher nach Art 6 DSA für den Inhalt nicht haftbar gemacht werden kann. Mit folgenden Einschränkungen: Sobald er darauf aufmerksam gemacht wird, dass im Kommentarfeld Beleidigungen veröffentlicht wurden, die unter üble Nachrede fallen, muss er innerhalb kurzer Zeit reagieren, sonst haftet er selber dafür.
Und er trägt als Medieninhaber ganz allgemein die medienrechtliche Gefahrenhaftung für seine Website, also das heißt, wenn da jetzt herumbeleidigt wird und jemand leitet gegen einen der Beleidiger ein Medienverfahren ein, dann würde das Gericht medienrechtliche Aufträge erteilen. Wenn das Gruppenmitglied Max Mustermann irgendeinen Blödsinn geschrieben hat – zum Beispiel Beleidigungen wie, das Lawinenopfer ist ein furchtbarer Typ, das hat sich das mehr als verdient –, dann wird zwar Max Mustermann strafrechtlich geklagt, aber der Medieninhaber muss die gerichtliche Veröffentlichungsanordnung wonach jetzt ein Strafverfahren anhängig ist, auf Facebook stellen und bekommt eine Geldstrafe, wenn er es nicht macht.
Und wenn 50 Leute beleidigt haben, und dann gibt es von denen jeweils eine Privatanklage und gerichtliche Aufträge, dann ist der Medieninhaber den ganzen Tag nur damit beschäftigt, die medienrechtlichen Aufträge des Gerichtes zu befolgen. Aber wie gesagt, Überwachungspflicht hat er keine, außer in dem Fall eines von vornherein bedenklichen Inhalts, der womöglich gar einen Shitstorm lostreten könnte. Das heißt, er stellt etwas ein, von dem er weiß, dass damit rufschädigende Diskussionen losgehen. Dann ist er dazu verpflichtet, regelmäßig reinzuschauen. Aber nicht, wenn er nur postet: „Lawinenbergung Hafelekar.“
Wenn er hingegen teilen würde: „Letzte Neuigkeiten Lawinenopfer – der größte Sandler, der größte Schwerverbrecher“, dann muss er dieses Posting überwachen, weil hier die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass darunter weitere rufschädigende Diskussionen oder gar ein Shitstorm losgetreten werden. Und er muss ganz allgemein außerdem reagieren, wenn er benachrichtigt wird von einem persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalt auf seiner Website, „Pass auf lieber Medieninhaber, unter deinem Posting sind rufschädigende Inhalte gepostet, die musst du entfernen sonst drohen strafrechtliche Haftungen“.
Konzentriert man sich juristisch nur auf Bild und Wort oder auch auf Emojis?
In meinem Shitstorm-Fall hat der Täter sogar Kotz-Emojis gepostet, das ist rechtlich gar nichts Besonders. Im Rufschädigungsrecht gilt der Grundsatz, dass nicht nur der bloße Wortlaut heranzuziehen sind, sondern eine Äußerung ist im Gesamtkontext zu betrachten, inklusive aller Begleitumstände. In der analogen Welt wäre das beispielsweise der Stinkefinger, online ist es halt das Emoji. Das ist rechtlich kein Problem.
Bei einer rechtlichen Verfolgung eines Täters werden auch immer alle Emojis gescreenshotet und ins gerichtliche Verfahren integriert, weil es um sämtliche Indikatoren geht, die dem Gericht Aufschluss geben, wie die Bedeutung der beleidigenden Äußerung zu ermitteln ist.
Gerne wird ja die Verantwortung auf Facebook oder Instagram, also die Plattformen an sich, abgeschoben, die beispielsweise rufschädigende Postings nicht löschen. Drücken sich die Betreiber vor ihrer Verantwortung?
Der Access Provider,so nennt man den, haftet überhaupt nicht, solange er von nichts weiß. Seit dem Mediengesetz 2005 ist in erster Linie jeder User für sein Profil verantwortlich und jeder ist Medieninhaber. In Ausnahmefällen könnte auch der Plattformbetreiber herangezogen werden, da gibt es auch Gerichtsentscheidungen, wenn ein eindeutig rechtswidriger Beitrag beim Access Provider gemeldet wird und trotzdem noch online gehalten wird. Wen das interessiert, der kann die Volksverräterin-Entscheidungen betreffend einer grünen Politikerin, die Facebook betrifft, googeln. Doch grundsätzlich ist der, der die Seite betreibt also zum Beispiel ein User, der ein Facebook-Profil eröffnet, verantwortlich und kann sich auch nicht von der Haftung befreien.
Das grundsätzliche Problem ist, dass diejenigen, auf deren Website ein persönlichkeitsrechtsverletzender Beitrag veröffentlicht wird, und diejenigen, die Seiten oder Gruppen betreiben, bei Beleidigungen oder einem Shitstorm denken, „Ok, das geht ja mich nichts an“. Und der Betroffene denkt sich, „Hilfe, was soll ich machen, ich kann eh nichts dagegen tun“. Wir leben da wirklich im digitalen Mittelalter, wo es jedem egal ist, dass er über potenziell gefährliche Waffen verfügt und die ungeniert gegen seine Mitmenschen einsetzt. Umgekehrt sind die Täter dann völlig aus dem Häuschen, wenn hier eine Reaktion kommt. An den Shitstorms beteiligen sich auch sehr gebildete Leute und posten fleißig mit. Wenn man sich deren Facebook-Profil anschaut, dann würde man nicht glauben, dass diese Person bei so einem Blödsinn mitmacht.
Mich irritiert, dass vielen Privatpersonen dies nicht bewusst ist. Bei Vorträgen merke ich oft, dass Zuhörer ganz überrascht sind von der Tatsache, dass sie medienrechtlich für die Inhalte ihrer Posts verantwortlich sind.
Das kenne ich von dem Shitstorm-Fall. Als die Personen, die diese Inhalte gepostet haben, von der Polizei vernommen wurden, haben sie Sachen gesagt wie : „Ich hab nur geklickt, und wenn es falsch ist, werden sich wohl die Fakten-Finder von Facebook drum kümmern“, „Das war ja schon im Internet, ich habe es eh nur geteilt und warum soll ich es nicht teilen und ich bin mir da keiner Schuld bewusst“ oder „Das wird ja wohl stimmen, wenn es im Internet steht“ etc. Da läuft man gegen Windmühlen an. Teilweise sind sie bei Verhandlungen empört darüber, wie sie dazu kommen, dass sie hier zu Gericht sitzen müssen. Sie haben kein Bewusstsein dafür, dass auf Facebook nicht nur ihre Freunde mitlesen, sondern die ganze Welt. Wenn ich in der Sauna ungeniert laut rede und es mir egal ist, dass es die anderen auch noch hören, gehe ich damit nur den drei, vier Saunagästen auf die Nerven. Das ist bei sozialen Medien ganz anders. Aber das verstehen die meisten nicht.
Noch einmal das Thema Foto, vor allem Fotos von Unfallopfern. Was ist in dieser Hinsicht rechtlich zu berücksichtigen?
Es ist verboten, den höchstpersönlichen Lebensbereich bloßzustellen oder auch nur Tatsachen daraus zu verbreiten. Wenn dennoch Fotos von Unfallopfern verbreitet werden, wird damit der Bildnisschutz des Opfers und gleichzeitig auch der höchstpersönliche Lebensbereich verletzt. Laut Mediengesetz hat der Verletzte Anspruch auf Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereiches.
Der Paragraph 7 des Mediengesetzes zum Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereiches wird recht streng gehandhabt. Schon das bloße Fotografie einer Wohnung wäre zum Beispiel eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches, die Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des dort Lebenden hat, das wird sehr, sehr streng judiziert.
Rechtlich ist also klar, dass Fotos, die ein Opfer in einer mentalen oder körperlichen Ausnahmesituation zeigen, eine massive Verletzung des persönlichen Lebensbereiches darstellen, und natürlich auch des Bildnisschutzes. Wenn das jemand postet, dann muss er dem Opfer einen Entschädigungsbetrag zahlen. Das können bis zu 100.000 Euro sein, denn das ist der medienrechtliche Höchstbetrag und das zieht einen Rattenschwanz nach sich, wenn das Verfahren eingeleitet wird. Und dann kommen im Falle der Veröffentlichung eines Fotos noch Entschädigungszahlungen nach Datenschutz- und Urheberrechtsgesetz dazu, zuzüglich Kosten der dazu eingeleiteten Gerichtsverfahren.
Sie sagen ja, es ist für Opfer auch sehr aufwandsintensiv. Wann würden Sie dennoch einem Opfer empfehlen, einen Anwalt beizuziehen? Wann ist das Fass voll?
Die Empfehlung ist der gesunde Hausverstand. Wegen jedem Blödsinn soll man sich nicht aus dem Takt bringen lassen, aber sobald beispielsweise eine rufschädigende Beleidigung öffentlich gemacht wurde – und öffentlich umfasst eben auch das Internet. Also sobald ich auch nur von einer Person öffentlich angegriffen werden, muss ich dem entgegentreten, das muss ich mir nicht gefallen lassen. Wenn ich dann gegen jemanden rechtlich vorgehe, ordnet das Landesgericht an, dass der Medieninhaber Folgendes veröffentlichen muss: „Monika Mustermann hat Privatanklage eingebracht gegen Max Mustermann, weil er in diesem Medium die Behauptung veröffentlicht hat, Monika Mustermann ist eine böse Hexe, die den ganzen Tag lügt. Ein Strafverfahren ist anhängig.“
Die anderen User merken dann: Hoppla, der hat sich gewehrt. Der Medieninhaber hat ein Strafverfahren picken und ein Medienverfahren, da ist was passiert, da beteilige ich mich lieber nicht. Also ich würde jeden raten, dass er sich sofort wehrt, sobald etwas öffentlich ist, weil man den Multiplikationseffekt nicht unterschätzen darf.
Dazu kommt: Man kann solche Dinge nicht einfach wegwischen. Unser Gehirn ist sozialverknüpft, das heißt, ein Verlust an sozialer Wertschätzung wird vom Körper genau so gewertet wie eine reale Schmerzufügung, wie eine reale Körperverletzung. Ich fange an im Kreis zu denken, ich fange an zu grübeln, ich geh durch die Gegend und denke mir, hat der das gelesen, hat der das gehört? Also Verlust an Social Proof, an sozialer Wertschätzung wird vollautomatisch vom ganzen System des Menschen massiv stressauslösend gewertet. Wenn die Sache sich dann schon zu einem Shitstorm ausgewachsen hat, besteht ohnehin dringender Handlungsbedarf.
Dann kommt aber das Problem, das ich am Anfang schon geschildert habe: Die ganzen Beweise müssen gesichert werden und man braucht noch dazu von der rechtlichen Abwicklung einen Anwalt, der sich halbwegs auskennt. Das ist dann schon eine aufwendige Prozedur.
Was ist Ihr Fazit zum Grundsatzurteil des OGH?
In dem OGH-Urteil sind endlich mal die verschiedenen Paragraphen zusammengefasst. Also im OGH-Urteil ist endlich das drinnen, aus allen Rechtsgebiete zusammengesammelt, was überhaupt los ist. Das ist eine super Übersicht, was man sich sonst, wenn man es noch nie gemacht hat, aus allen Rechtsgebieten zusammensammeln muss.
Wenn jemand einen Beitrag nicht löscht und wenn Gerichtsverfahren eingeleitet werden, Mediengesetz und Zivilrecht, und alles möglich, was durchgesetzt wird, dann kostet das ganz locker bis zu 20.000 Euro an Prozesskosten, wenn das Verfahren durch alle Instanzen läuft. Mit den ganzen Entschädigungszahlungen und Prozesskosten. Das sind ja horrende Beträge. Aber das liegt einfach daran, dass die Leute nicht verstehen, dass das einfach nicht geht, dass sie im Internet wild drauflosposten.
Übersicht über Gesetze & Tatbestände
Diese Grafik dient der vereinfachten Darstellung komplexer rechtlicher Zusammenhänge und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder juristische Präzision. Sie soll lediglich einen ersten Überblick verschaffen und ersetzt keine individuelle rechtliche Beratung. Für die Beurteilung konkreter Fälle und rechtlich verbindliche Auskünfte wenden Sie sich bitte an einen Rechtsanwalt.
Zusammenfassung
- Jeder, der sich an einem Shitstorm beteiligt, haftet dem Opfer für den entstandenen Schaden (Solidarschuld).
- Das Opfer darf sich frei aussuchen, welchen Shitstorm-Teilnehmer es in Anspruch nimmt. Es muss keineswegs derjenige sein, der die beleidigende Äußerung als Erster ins Netz gestellt hat.
- Als Teilnehmer eines Shitstorms haftet, wer einen schädigenden Beitrag postet, teilt oder kommentiert.
- Noch nicht abschließend gerichtlich geklärt ist, ob bereits das bloße Liken eines ehrverletzenden Beitrags eine Haftung für den Shitstorm begründet. Es spricht jedoch vieles dafür.In der Entscheidung stellt der OGH lediglich allgemein klar, dass bloß ein minimaler Tatbeitrag zum Schaden der geringfügig oder gleich Null ist, die Haftung ausschließt. Ein Liken hat jedoch einen nicht unerheblichen Multiplikationseffekt und befördert den gelikten Beitrag in den Newsfeed aller Freunde und macht die Algorithmen zusätzlich auf den Beitrag aufmerksam.
- Auch Emojis können in diesem Zusammenhang als Beleidigung gewertet werden.
- Gruppenbetreiber von sozialen Netzwerken haben keine allgemeine Überwachungspflicht, d.h. sie müssen nicht ständig alle Beiträge der Gruppenmitglieder kontrollieren. Nur wenn sie selber einen Beitrag posten, der einen Shitstorm auslösen könnte, sind sie zum Überwachen des Verlaufs verpflichtet. Eine Haftung tritt jedoch ein, wenn sie auf eheschädigende Beiträge hingewiesen werden und sie diese nicht entfernen.
- Jeder User von sozialen Medien ist als Medieninhaber selbst für seine Inhalte verantwortlich. Der Plattformbetreiber (Facebook, Instagram, etc.) haftet nur in Ausnahmefällen, wenn er zum Entfernen des Beitrags aufgefordert wurde. Keine Haftung trifft dagegen den Hostbetreiber
- Sobald eine rufschädigende Äußerung öffentlich gemacht wurde, lohnt es sich einen Anwalt zu konsultieren.
Weiterführende Links:
- OGH Urteil
- Anzeige wegen Likes Anzeigenflut nach Facebook Posting. ORF Kärnten, abgerufen am 02.10.2024
- TikTok muss wegen Tod einer Zehnjährigen vor Gericht. Der Standard, abgerufen am 02.10.2024.
- Video Ars Boni 510 Schadenersatz bei „Shitstorm“, Interview mit Dr. Kerschbaumer. Department of Innovation and Digitalisation in Law, abgerufen am 02.10.2024.
Das Interview wurde am 8.8.2024 von Riki Daurer geführt. Lektorat Teresa Profanter, juristisches Korrektorat: Claudia Timm